Rezension – „Lass uns über den Tod reden“ von C. Juliane Vieregge

Meine lieben Leser,

ging es euch auch so, wie den meisten anderen, denen ich erzählt habe, was ich aktuell lese? Habt ihr euch gewundert, warum ich freiwillig über den Tod lese? Ist doch ein ziemlich trauriges Thema – wieso tue ich mir das also an? Solche Fragen habe ich in den letzten Wochen oft gehört, wenn jemand mein Buch auf dem Tisch entdeckt hat.
Der Tod ist gerade heutzutage oft ein Tabuthema – zu schmerzhaft. Natürlich kann man frei darüber sprechen, aber eine wirkliche Auseinandersetzung oder ein Einbezug ins tägliche Leben ist in unserer Kultur verloren gegangen. Das habe ich stark an den ambivalenten Reaktionen meiner Mitmenschen gemerkt.

Ich hatte die tolle Gelegenheit dieses spannende Fachbuch zu lesen. Die Autorin C. Juliane Vieregge selbst hat auf Lovelybooks eine Leserunde zu diesem Buch veranstaltet und ich hatte das Glück, ein Rezensionsexemplar zu gewinnen. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle, denn es hat sich mehr als gelohnt! Und besonders schön ist, dass die Autorin sogar eine Widmung im Rezensionsexemplar hinterlassen hat. 🙂

| Werbung | Rezensionsexemplar |

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ALLGEMEINES ZUM BUCH:

  • Titel: Lass uns über den Tod reden
  • Autor: C. Juliane Vieregge
  • Anzahl der Seiten: 301 Seiten
  • Verlag: Christoph Links Verlag
  • Ausgabe: 1. Auflage (März 2019)
  • Genre: Fachbuch, Sachbuch

INHALT:

„Trauer ist nichts anderes als schmerzende Liebe.
Eine ganz reale Liebe.“

– Roland Kachler in „Lass uns über den Tod reden“ von C. Juliane Vieregge, S. 132 –

In diesem Werk interviewt die Autorin Persönlichkeiten zu ihren Erfahrungen mit dem Tod. Dabei wird in verschiedenen Kapiteln der Tod in unterschiedlichen Rollen betrachtet, beispielsweise „Der Tod als Auftraggeber“ oder „Der Tod als Lehrmeister“. Jedes dieser Kapitel wird durch ein Essay der Autorin eingeleitet. Danach folgen die unterschiedlichen Geschichten der Interview-Partner. Diese sind keine typischen Prominenten, sondern echte Persönlichkeiten, wie beispielsweise Monika Erhardt-Lakomy, Ehefrau und Arbeitspartnerin des bekannten Komponisten Reinhard Lakomy oder Boris Palmer, Landtagsabgeordneter von Badem-Württemberg und Sohn des Politikers Helmut Palmer. Ich finde, das hat maßgeblich zur Qualität des Buches beigetragen.
Die Schicksale reichen von informativ bis tief berührend. Es werden unterschiedliche Facetten des Todes beleuchtet. Neben Tod der Eltern, Tod der eigenen Kinder oder Geschwister, werden auch Suizid, Unfälle und Holocaust thematisiert. Die Vielfalt der unterschiedlichen Ereignisse erschreckt, deckt die Endlichkeit des Lebens bis in jede noch so kleine Ecke auf, zeigt aber auch, welche Gemeinsamkeiten der Tod mit sich bringt und wie stark die Hinterbliebenen dadurch werden. Jede Geschichte ist eine ganz persönliche und zeigt einem sehr deutlich, wie sehr der Tod schmerzen kann. Auf der anderen Seite wird durch diese Schilderungen auch sehr stark deutlich, dass der Tod zum Leben nicht nur dazugehört, sondern dass er im Alltag sogar nötig ist, um den eigenen Weg manchmal in die richtige Richtung zu lenken. Das Werk von Vieregge entwickelt im Leser ein Verständnis für den allseits gesuchten Sinn des Todes.
Die unterschiedlichen Kapitel haben mich oft so stark berührt und ich konnte auch viele persönliche Parallelen ziehen, sodass ich die einzelnen Geschichten vor dem Weiterlesen erst einmal setzen lassen musste. Gleichzeitig war es tröstend und inspirierend, wie andere Menschen mit dem Tod umgehen. So banal es klingt, war es auch beruhigend, dass Persönlichkeiten, die in der Öffentlichkeit stehen und sonst so unverwundbar wirken, die gleichen Dinge erleben wie Du und Ich.

„Der Tod ist normal. Er betrifft alle. Er kann schlimm sein, aber er kann auch einfach sein.

– Ilse Rübsteck in „Lass uns über den Tod reden“ von C. Juliane Vieregge, S. 203 –

Neben der angestoßenen Selbstreflektion wird hier auch der Blick für die anderen Schicksale geschärft.
Besonders faszinierend war auch, dass beim Lesen klar wurde, wie der Tod die Menschen zusammenbringt, obwohl er etwas so wichtiges nimmt. In den Interviews steckt so viel Wahrheit und so viel Schmerz – und trotzdem merkt man, wie heilsam es ist, sich wirklich eng mit der Thematik des Todes zu beschäftigen. Bei manchen Kapiteln fiel es mir schwer, es zu akzeptieren, dass solche schlimmen Geschehnisse tatsächlich Weichen stellen können. Doch das Buch schlägt einen guten Bogen vom Tod zum Leben und so versteht man immer mehr auf einer tieferen Ebene, was der Tod für die Menschen bedeutet und bewegt. Denn er ist nicht immer nur schlecht und schmerzhaft, er kann auch Erlösung und Erleichterung sein, beispielsweise, wenn sich jemand wünscht, zu gehen.

SCHREIBSTIL:

„Im Übrigen gibt es im Kapitalismus keine Zeit für die Toten oder für das Vergangene überhaupt. Kapitalismus lebt immer von der Gegenwart und von der Zukunft, die man zu Geld machen kann. Da ist kein Raum für den Tod.

– Roland Kachler in „Lass uns über den Tod reden“ von C. Juliane Vieregge, S. 134 –

Neben der persönlichen Einleitung und der Essays der Autorin, glänzt das Buch „Lass uns über den Tod reden“ durch die unterschiedlichen Geschichten. Diese sind nicht im Interview-Stil geschrieben, sondern als fortlaufend erzählte Geschichte der jeweiligen Persönlichkeit. Vieregge hat es außerdem geschafft, dass den unterschiedlichen Personen ihr Sprachstil erhalten blieb. So hat man beim Lesen tatsächlich das Gefühl, mit der Person an einem Tisch zu sitzen, während man deren Schicksal erzählt bekommt. Bezeichnend dafür war eine Bemerkung meinerseits in der Leserunde, dass eine der Geschichten klang, als wenn man mit der Person zu einem Kaffee zusammensitzen würde. Die Autorin meldete sich zurück und meinte, dass es in diesem bestimmten Fall tatsächlich so gewesen war. Der individuelle Sprachstil macht die Schilderung jedes Einzelnen also sehr authentisch.
Ganz klar anerkennen muss man den Recherche-Aufwand – ich habe mich oft gefragt, wie Vieregge wohl auf die einzelnen Personen gekommen ist, um sie in das Buch einzubeziehen. Zudem ist der Zeitaufwand enorm. Bereits 2016 wurden einige der Interviews geführt.
Natürlich lässt sich dieses Fachbuch trotz der 300 Seiten nicht so schnell weglesen wie ein Roman, da der Inhalt so tief ist und wie bereits erwähnt, oft nachhallen muss. Für ein Fachbuch liest es sich trotzdem extrem gut und ist sehr lebensnah.
Am Ende jeder Geschichte wartet ein Bild der Persönlichkeit inklusive einer Kurzbiografie. Mir gefiel es besonders gut, dass dies nicht am Anfang der Geschichte passierte. So konnte man zunächst eine Verbindung zu den Gedanken der Person aufbauen, bevor man sie sehen konnte.

FAZIT:

„Unsere Kultur ist eine sehr moderne, die mit Reformation, dann mit Aufklärung und später mit Psychoanalyse (…) nicht nur den Tod, sondern auch die Toten aus dem Leben gedrängt hat. Beides ist ein ungeheurer Verlust.

– Roland Kachler in „Lass uns über den Tod reden“ von C. Juliane Vieregge, S. 133 –

Ein wichtiges Werk, welches ein Thema aufgreift, das leider immer noch zu wenig besprochen wird. Ein Buch, bei dem man mitfühlt und für das eigene Leben lernen kann.
Neben den Gefühlen, die hier erzeugt werden, ist der informative Wert ganz groß hervorzuheben. Das Werk macht nachdenklich, aber auch große Hoffnung.
Das Buch kämpft für eine Renaissance einer Sterbekultur, die in unserer modernen, hektischen Zeit verloren gegangen ist. Aus meiner Sicht ein Buch, was man gelesen haben muss – weil es mit uns, dem Leben und eben mit dem Tod zu tun hat – und das betrifft uns immer, zu jeder Zeit. Unbedingt lesen!

BEWERTUNG:❤❤❤❤❤

Bis bald,
EURE HACHIDORI

Rezension – „Heartless – Der Kuss der Diebin“ von Sara Wolf

Meine lieben Leser,

dieses Jahr ist anscheinend wirklich ein gutes Lesejahr. Ich kann mich kaum von den Seiten losreißen, um etwas anderes zu machen. 🙂
Ein Buch, welches schon seit geraumer Zeit bei mir herumliegt, ist „Heartless“ von Sara Wolf. Ich hatte es mir kurz nach Erscheinen gekauft, weil ich es vor Release schon auf meiner Wunschliste stehen hatte. Allerdings kam ich erst jetzt dazu, es wirklich zu schmökern. Und meinen Eindruck von diesem Stück Literatur möchte ich euch natürlich nicht vorenthalten!

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ALLGEMEINES ZUM BUCH:

  • Titel: Heartless – Der Kuss der Diebin (Band 1)
  • Autor: Sara Wolf
  • Anzahl der Seiten: 473 Seiten
  • Verlag: Ravensburger Buchverlag
  • Ausgabe: 1. Auflage (2019)
  • Genre: Jugendbuch, Fantasy, Dystopie

INHALT:

In „Heartless“ treffen wir auf Zera, unsere Protagonistin. Wir lernen sie in einem dunklen Wald kennen und das Setting ist nicht nur düster, sondern auch brutal. Zera ist eine sogenannte Herzlose. Sie war einstmals ein Mensch, wurde aber getötet und durch eine Hexe wieder erweckt. Die Hexe Nightsinger besitzt Zeras Herz und hat somit die Kontrolle über sie. Wird man zum Herzlosen, verblassen die Erinnerungen an das Leben als Mensch; nur dunkel können einige wesentliche Dinge erinnert werden. Am Anfang der Geschichte erfahren wir, dass Zera mit der Hexe Nightsinger und anderen Herzlosen zusammenwohnt und es wird viel über die Welt an sich erklärt.
Dann bekommt Zera den Auftrag, den Kronprinzen zu töten, ihm sein Herz zu stehlen und somit auch ihn zu einem Herzlosen zu machen. Sie gibt sich als sogenannte Frühlingsbraut aus und wird als diese am Hofe dem Prinzen vorgestellt. Ihre Tarnung kann nur aufrecht erhalten werden, weil Lady Y´shennria als Adlige sie unterstützt. Sie gibt sich als Zeras Tante aus. Zera gewinnt nach und nach immer mehr die Aufmerksamkeit des Prinzen und sie lernt nicht nur ihn, sondern auch seinen Hofstaat und seine Freunde kennen. Hinter dem eitel geglaubten Prinzen verbirgt sich allerdings ein tiefsinniger Geist, der Zera zu gefallen scheint. Die beiden verlieben sich ineinander, stehen sich aber in vielerlei Hinsicht selbst im Weg. Vor allem Zera schwankt zwischen der Entscheidung, das menschliche Gefühl der Liebe zu genießen oder durch den Tod des Prinzen den Frieden zu bringen. Das Buch baut immer mehr Spannung auf, mit gelegentlichen Höhepunkten, um dann mit einem fiesen Cliffhanger zu enden.

SCHREIBSTIL:

Sara Wolf schreibt bildhaft, düster, melancholisch und an einigen Stellen auch brutal. Das passt zu dem Setting der ganzen Geschichte. Das Leseerlebnis war flüssig, das Lektorat gut. Mir hat vor allem der Einfallsreichtum von Sara Wolf gefallen. Das Werk hebt sich von den vielen Büchern dieses Genres in den letzten Jahren ab und kann mit einem einzigartigen Worldbuilding und einer spannenden Grundidee punkten.
Sara Wolf schafft es, alle Charaktere sehr lebendig zu zeichnen, auch die Nebenfiguren, von denen es einige gibt.

FAZIT:

Mit „Heartless“ hat mich mal wieder eine Autorin komplett abgeholt. Nicht nur die Charaktere sind authentisch und kaufe ich komplett ab, sondern auch diese einzigartige Welt und die Idee der Herzlosen ist endlich mal wieder etwas komplett anderes als der Einheitsbrei des Dystopie-/Fantasy-Genres.
Weit weg von einer typischen Liebesgeschichte, wird hier eine spannende, düstere und tiefsinnige Geschichte über Liebe, Freundschaft und politische/gesellschaftliche Verwirrungen erzählt.
Ein tolles Buch, was ich euch wärmstens empfehlen muss! Lesenswert!

BEWERTUNG: ❤❤❤❤❤

Bis bald,
EURE HACHIDORI

Rezension – „54 Minuten – Jeder hat Angst vor dem Jungen mit der Waffe“ von Marieke Nijkamp

Hallo meine lieben Leser,

den Urlaub konnte ich wirklich gut für Lektüre nutzen. Eines der Bücher, die ich mir während des Sommerurlaubs auf den Nachttisch gelegt habe, war „54 Minuten“ von Marieke Nijkamp. Das Buch wurde bereits 2016 in Originalsprache und 2017 in der Übersetzung bei uns hier in Deutschland verlegt. In diesem Jahr erschien nun eine neue Auflage mit einem neuen Cover. So wurde ich darauf aufmerksam und wollte mir unbedingt eine Meinung dazu bilden. Da das Buch das schwierige Thema eines Amoklaufs an einer Schule thematisiert, werde ich euch im Folgenden erläutern, was mich überzeugen konnte und was ich kritisch betrachtete.

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ALLGEMEINES ZUM BUCH:

  • Titel: 54 Minuten – Jeder hat Angst vor dem Jungen mit der Waffe
  • Autor: Marieke Nijkamp
  • Anzahl der Seiten: 327 Seiten
  • Verlag: FISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch Verlag
  • Ausgabe: 1. Auflage (2019)
  • Genre: Jugendbuch, Drama, Roman

INHALT:

„Wir sind mehr als unsere Fehler. Wir sind mehr als das, was andere von uns erwarten. Daran muss ich glauben.“

Chris in „54 Minuten“ von Marieke Nijkamp, S. 119

Das Buch beginnt an einem normalen Tag in der Opportunity High. Die Schüler sind in der Aula versammelt, um der Begrüßungsrede für das neue Schuljahr Gehör zu schenken. Unter den Zuhörern sind auch die zwei Protagonistinnen Autumn und Sylv. Die beiden Mädchen verbindet eine Liebesbeziehung, die sie geheimhalten müssen.
Einige Schüler sind von der Begrüßungsrede freigestellt. Das betrifft beispielsweise das Sportteam der Schule, welches während der Rede mitten im Training steckt. Dort befindet sich die dritte Protagonistin Claire mit ihrem besten Freund Chris.
Zwei Schüler schwänzen die Rede. Tomás, als vierter Protagonist, ist mit seinem Kumpel Fareed in das Büro der Direktorin eingebrochen, um in den Schülerakten zu wühlen. Tomás ist der Bruder von Sylv und versucht etwas über Tyler Brown herauszufinden. Tyler ist der Bruder von Autumn. Er ist von der Schule gegangen und kehrt nun zurück. Sylv hat gegenüber Tomás erwähnt, dass sie Angst vor seiner Rückkehr hat. Tomás sucht nun also Hinweise in den Akten, was genau vorgefallen sein könnte.
Als die Begrüßungsrede endet, strömen die Schüler zu den Ausgängen. Diese sind jedoch verschlossen. Zunächst denken viele an einen Scherz. Als Tyler durch eine der Türen tritt, bemerken immer mehr Mitschüler, dass er bewaffnet ist. Unruhe verbreitet sich, danach unheimliche Stille. Spätestens nach den ersten, eiskalt geplanten Toten, haben alle verstanden, dass Tyler es ernst meint und nun die ganze Schülerschaft in der Aula in Lebensgefahr schwebt.

„Es ist einfacher zu sagen, wer ich nicht bin, als wer ich bin.
Wenn sowieso alle von mir erwarten, dass ich scheitere, ist es einfacher, gleich aufzugeben, als es weiter zu versuchen.
Der nächste Schuss haut mich fast um.“

Tomás in „54 Minuten“ von Marieke Nijkamp, S. 132

Im ersten Viertel des Buchs bleiben die Charaktere noch recht blass. Hier wird vor allem geschildert, was vor Beginn des Amoklaufs passiert. Zudem wird schon anfänglich auf die Vergangenheit der Protagonisten eingegangen. Hier fehlte es noch ziemlich an Tiefe. Durch die wenigen Seiten und vielen Perspektiven baute sich zunächst keine Bindung zu den Figuren auf und sie büßten so einiges an Authentizität ein. Vor allem traf das auf die Beweggründe von Tyler zu. Hier fehlte es mir zu Anfang des Buchs an Nachvollziehbarkeit. Das lag wahrscheinlich auch an den recht trockenen Schilderungen. Zusätzlich störte ich mich an einigen Logikfehlern in der Geschichte. Beispielsweise wird in einem Kapitel beschrieben, dass eine Tür sperrangelweit offen steht – in einem folgenden Kapitel wird dann aber erläutert, dass die Tür mit dem Fuß aufgestoßen wird. Zudem versuchen Charaktere, Hilfe zu holen, lassen aber ein Auto stehen, weil sie unter zu großem psychischen Druck stehen. Das war für mich störend und hat mich nach dem ersten Viertel des Buches sehr skeptisch zurückgelassen. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt schon sehr sicher, dass das Buch mich nicht überzeugen wird. Dazu beigetragen hat sicherlich auch, dass es mir am Anfang sehr schwer fiel, die Verbindungen zwischen den einzelnen Protagonisten herzustellen.

Neben der Hauptgeschichte, die eine sehr emotionale Problematik thematisiert, werden mehrere andere brisante Themen angesprochen. Zum Einen wäre da die lesbische Beziehung von Autumn und Sylv, welche geheim gehalten wird. Es wird kommuniziert, dass sie viel Ablehnung erfahren und sich nicht einmal trauen, Hand in Hand zu gehen. Bevor man die Hintergründe erfährt, kam mir diese Schilderung nicht mehr so zeitgemäß vor. Zugegebenermaßen wurde das Buch 2016 veröffentlicht und ich habe keine Ahnung, wie kritisch das Thema Homosexualität immer noch in Amerika betrachtet wird. Zum Glück wurden nachvollziehbare Motive für das Verhalten des Pärchens geliefert, die meine Überlegungen überflüssig machten. Dennoch war mir dieser Konflikt nicht wichtig genug für die Entwicklung der Geschichte und zu wenig ausgearbeitet. Dadurch war mir dieser Zweig der Geschichte etwas zu viel. Ich hätte mich gern mehr auf die Hauptgeschichte konzentriert, um dort mehr Emotionen zu spüren. Weitere Themen, die angesprochen wurden waren Alkoholismus, kranke/pflegebedürftige Verwandte, Vergewaltigung und die Suche nach einer eigenen Identität in der Pubertät. Mir persönlich war diese Ansammlung an Problematiken zu überladen. Es war nicht möglich, sich auf alle dieser Themen angemessen einzulassen. Das gaben die wenigen Seiten aber auch gar nicht her.

Ab Hälfte des Buches gewinnt es zunehmend an Ausdruckskraft, Spannung und Emotionalität. Hier nimmt die Geschichte mit einem Mal richtig Fahrt auf. Die Charaktere entwickeln Stärke und bekommen mehr Tiefe.
Hier war für mich der Wendepunkt in diesem Leseerlebnis. Ich konnte das Buch nach der Hälfte der Geschichte nicht mehr aus der Hand legen. Die Autorin hat nochmal alles aufgefahren und sich mehr auf die Hauptgeschichte fokussiert. Am Ende konzentriert sich das Geschehen auf einen Showdown, der einem nicht nur das Blut in den Adern gefrieren lässt, sondern wie versprochen dem Leser das Herz bricht.

SCHREIBSTIL:

„Wir werden uns über unsere Angst erheben. Wir werden heute hier heil rauskommen. Wir werden einen Weg finden.“

Claire in „54 Minuten“ von Marieke Nijkamp, S. 138-139

Die Geschichte um den Amoklauf wird aus vier Perspektiven geschildert. Abwechselnd werden die Ereignisse aus der Sicht der Protagonisten Claire, Autumn, Sylv und Tomás erzählt. Ich glaube, ich muss nicht besonders betonen, dass ich Perspektivwechsel als Element in einer Geschichte meistens nicht so toll finde. Erstaunlicherweise begegnen mir in den letzten Jahren sehr viele Werke, die genau diese Art der Erzählung nutzen. Auch in dem vorliegenden Roman ist der Wechsel gut gelungen. Er trägt maßgeblich dazu bei, dass der Leser Informationen erhält, die er nur aus einer Perspektive heraus nicht bekommen hätte. Auch einen allwissenden Erzähler kann ich mir in dieser Geschichte nur schwerlich vorstellen. Von diesem Standpunkt aus kann ich sagen, dass mir der Perspektivwechsel hier wirklich gefallen hat und für die Wirkung und das Storytelling extrem wichtig war.

Die Übersetzung war leider nicht wirklich hochwertig. Neben Rechtschreib- gab es auch Grammatikfehler, wie bspw. Wortwiederholungen in aufeinanderfolgenden Sätzen. Leider mindert das immer sehr den Lesefluss, weswegen ich hier auf jeden Fall einen Punkt abziehen muss.

Zwischen den Kapiteln wurden immer wieder kleine Abbildungen eingebaut, die Social Media Posts oder SMS von Schülern zeigen, die keine Protagonisten sind. Dadurch wurde der Einblick in einzelne Schicksale erhöht. Teilweise erschreckend, aber auch berührend verfolgte man hier noch Nebenfiguren, die einem ans Herz wuchsen. Auch der Hass und Relativierung der Ereignisse wurde über dieses Element gezeigt. Hier hatte der Leser schon fast das Bedürfnis, dass sie bitte alle ruhig bleiben sollen und, dass sie nicht durch Hass die gleichen Dynamiken in Gang setzen, die bei Tyler zum Amoklauf führten.

Allgemein liest sich der Stil von Nijkamp gut. Kurze prägnante Sätze, anfänglich etwas trocken, im Verlauf immer emotionaler bilden den Grundtenor des Buches. An sich ein flüssig und schnell zu lesender Schreibstil, wenn man die Abstriche in der Übersetzung außer Acht lässt.

FAZIT:

„Die Welt besteht aus Veränderung. Aber solange du deine Erinnerungen wertschätzt und unterwegs immer wieder neue sammelst, ist es gleich.
Du wirst immer ein Zuhause haben.“

Sylv in „54 Minuten“ von Marieke Nijkamp, S. 295

Von einem Buch mit einem so sensiblen Thema wie dem eines Amoklaufs, erwarte ich auch eine sensible und vor allem tiefgreifende Auseinandersetzung mit diesem Sujet. Tatsächlich habe ich gehofft, dass beim Leser ein Gewissenskonflikt hervorgerufen wird, indem man den Amokläufer so authentisch und emotional beschreibt, dass man sich selbst vielleicht ertappt, seine Motivation nachvollziehen zu können. Hier hat der Klappentext die Messlatte bereits sehr hoch angesetzt, indem er verspricht „Dieser Roman lässt seine Leser mit gebrochenem Herzen zurück.“.
Der Gewissenskonflikt wurde nicht so erreicht, wie ich es erwartet hatte. Zumindest konzentrierte sich das Buch ab der Hälfte mehr auf Tiefe und Emotionalität sowie auf die Hauptgeschichte. Die nebenbei behandelten Themen hatten meiner Meinung nach nicht genügend Raum.
Zusammenfassend ein Buch, welches nach der Hälfte Fahrt aufnimmt und dann durch emotionale Charaktere, Spannung und Tiefe überzeugt. Erschreckend beschrieben und berührend in jeder Nebenfigur. Wie der Klappentext versprach, ist mir am Ende das Herz gebrochen. Ein gutes Jugendbuch mit einem sehr brisanten Thema. Lesenswert!

BEWERTUNG: ❤❤❤❤♡

Bis bald,
EURE HACHIDORI