Tagebuch einer Bekanntschaft in Zeiten der Flüchtlingskrise – Tag 2

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Tag 2 – Das erste Treffen

Es war also soweit.
Ich habe sie getroffen. Meine erste Bekanntschaft in Zeiten der Flüchtlingskrise.
Sie stammt direkt aus Syrien und ich konnte viel über ihr Land lernen, was ich vorher nicht wusste.
Ich war sehr überrascht, wie gut sie Deutsch spricht, obwohl sie es nur 6 Monate in einem Sprachkurs hatte.
Wenn ich vergleiche, wie lange ich schon Japanisch lerne und nichtmal annähernd so sprechen kann … meine erste Emotion war diesbezüglich höchster Respekt.

Als ich sie das erste Mal auf der Straße getroffen hatte (wir hatten unseren Treffpunkt nach draußen verlegt), war ich tatsächlich etwas eingeschüchtert. Ich finde einfach, dass Menschen aus diesem Kulturkreis wahnsinnig intensive Augen haben und da fühle ich mich immer noch kleiner, als ich sowieso bin. Ich bin dann aber einfach mutig voran und habe sie angesprochen.
Und als sie dann freudig lachte und mich begrüßte, war das Eis sofort gebrochen. Das hatte ich nicht erwartet. Schließlich brauch man bei vielen Leuten eine Weile, ehe man zueinander findet. Ich habe das große Glück, dass wir auf einer Wellenlänge zu sein scheinen.

In Syrien, erzählte sie in einfachem Deutsch, ist vor 5 Jahren ein Krieg ausgebrochen. Ihre Wohnung wäre kaputt, deswegen ist sie nach Deutschland gekommen, weil sie Verwandte hier hat. Der Krieg vor 5 Jahren, brach laut ihrer Beschreibung aus, weil die geschätzt 30% christlichen Syrer von den geschätzt 70% muslimischen Syrern vertrieben wurden. Laut ihrer Schilderung ein wahrer Glaubenskrieg, in welchem Bomben auf bevorzugt christliche Häuser geworfen wurden. Diese Schilderungen haben mich wirklich erschreckt und ihre kompletten Schilderungen haben mir erstmal wieder richtig bewusst gemacht, wie wichtig die Religion in diesem Land sein muss.
Sie selbst ist Christin. Ich möchte ehrlich sein und sagen, dass ich vermute, dass das eine Erleichterung war für unseren Zugang zueinander, weil wir somit ähnlichere Weltansichten haben.
Wir redeten offen über alle Fragen, die wir hatten. Auch das Frauenbild beschäftigte mich und als sie mir davon erzählte, erlebte ich erst einmal eine Überraschung. Sie erzählte, dass vor dem Kriegsbeginn vor 5 Jahren, die Frauen und Männer annähernd gleichgestellt waren. Sie gingen alle arbeiten, durften dieselben Jobs ausüben wie ihre Männer und verfügten über ihr eigenes Geld. Ein normales selbstbestimmtes Leben. Sie meinte, dass sich das so gut entwickelt hatte. Seit Ausbruch des Krieges, so berichtet sie, „denken Männer, sie sind wichtiger als Frauen“ und die Gesellschaft machte wieder einen Rückschritt in der Gleichberechtigung.

Wichtig wäre ihr, sagt sie, dass sie erstmal ein Praktikum findet. Sie möchte etwas machen und nicht nur rumsitzen. Wie ich erfuhr, hat sie viele Kenntnisse und es scheint, als hätte sie eine gute Chance. Sie wirkt sehr engagiert. Sie schreibt sogar ein eigenes alphabetisch geführtes Vokabelheft, in das sie jedes Wort schreibt, was sie noch nicht kennt. Ich bin beeindruckt und motiviert, ihr bei ihren Bewerbungen zu helfen.
Wir redeten über Lieblingsfarben und Hobbys, tranken dazu Kaffee und Tee. Alles in allem, ein ganz normales Treffen unter Freunden. Und wir beschlossen, wenn der Krieg vorbei ist und alles wieder aufgebaut und in Ordnung, dann möchte sie uns ihre Heimatstadt zeigen. Denn die wäre wunderschön und sie hätten viel tolle Architektur und die Menschen dort hätten immer viele Feste gefeiert.
Bei diesen Erinnerungen, die sie erzählt, werde ich etwas traurig. Es wirkt wie eine Art Traum, etwas, das nicht mehr existiert und nur noch in ihrer Erinnerung real ist.

Mich überrollen immer noch die ganzen Informationen, die ich an einem Tag erhalten habe (und das innerhalb von ein paar Stunden). Das Treffen beschäftigt mich. Aber es ist nicht, wie vorher so viel Gefühl der Angst dabei. Ich freue mich. Ich fühle mich bereichert. Und ja, ich fühle mich auch befriedigt. Denn ich helfe jemanden und das ist ein sehr erfüllendes Gefühl. Irgendwie schön, denn das Wort „befriedigen“ enthält das Wort „Frieden“ und noch nie in meinem Leben habe ich über die wörtliche Bedeutung dieses Wortes so nachgedacht wie jetzt. Das klingt alles viel poetischer, als es sich tatsächlich anfühlt.
Ich hatte vorher solche Angst und war so aufgeregt. Es war für mich ein großer Tag, sie zu treffen. Ich stellte fest: Es ist wirklich keine große Sache. Man trifft sich, trinkt Kaffee und hat Spaß. Und ganz nebenbei hilft man jemanden.
Ich habe für mich selbst auch einen Beschluss gefasst. Ich möchte ihr weiterhin helfen und dabei mein Bestes geben. Allerdings habe ich mir auch gesagt, dass ich es nicht zu meinem Hauptlebensinhalt machen möchte. Ich möchte mein Privatleben trotzdem genießen. Ich möchte auch mal sagen können „Mir passt diese Woche gar nicht“ oder „Ich habe gerade keinen Kopf dafür“. Denn allzu oft hört man von ausgebrannten Helfern und auch das macht Angst. Ich denke, es kann schnell passieren, dass man sich verpflichtet fühlt. Verpflichtet fühlt, schnell alles sofort und in hohem Maße zu bessern für diese Person, die man nun besser kennenlernt. Doch, ich denke, man sollte sich bewusst machen, dass jede Hilfe, und dauert sie auch lange Zeit, eine Hilfe ist. Wenn die Menschen diese Hilfe wollen und wenn man selbst dafür bereit ist, ist es egal, wie lange man braucht. Denn Integration brauch eines ganz besonders: Zeit.
Das muss ich mir ab jetzt immer bewusst machen.

Meine neue Bekannte bleibt mir bis zum nächsten Treffen mit ihren Worten im Gedächtnis. So oft hat sie sich bedankt und wiederholt:
„Ich möchte mit allen Menschen hier nett sein und Freunde. Alle hier sind sehr nett mit mir.“

EURE HACHIDORI

mehr zu diesem Thema:
Tag 1 – Der Tag vor dem ersten Treffen
Tag 3 – Der kleine Rückschlag
Tag 4 – Happy End und wirre Gedanken
Tag 5 & 6 – Jede Menge Kuchen/ Treffen unter alten Freunden

 

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Hachidoris Welt – Tagebuch einer Bekanntschaft in Zeiten der Flüchtlingskrise

Meine lieben Leser,

an dem Thema der Flüchtlingskrise kommt man wirklich kaum vorbei und wenn ich ehrlich bin, geht es mir manchmal ganz schön auf den Geist.
Doch auch ich möchte mich hier damit beschäftigen.
Allerdings auf eine ganz andere Weise.

Da ich die Möglichkeit erhalten habe, eine Bekanntschaft mit einer Asylantin zu machen (deren Persönlichkeit ich aus vielen Gründen, nicht zuletzt aus Gründen des Datenschutzes, geheimhalten werde), möchte ich euch meine Gefühle, Gedanken und Erlebnisse mitteilen.
Warum? Weil ich denke, dass das eine ganz andere Herangehensweise an dieses Thema ist. Eine menschliche und so gar nicht vordergründig politische Darstellung. Ich möchte hier weder Partei für oder gegen Flüchtlinge und angebliche Flüchtlinge beziehen. Denn dieses Thema ist nicht schwarz-weiß, diese Menschen nicht alle gut oder schlecht. Ich möchte hier meine persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen mit euch teilen und ja, auch meine Ängste. Denn die gehören immer dazu, wenn man etwas Neues kennenlernt.

Bevor ich beginne noch eins:
Die Beiträge werden mit zeitlicher Verzögerung eingestellt, um Rückschlüsse auf private Abmachungen und Treffen zu verhindern. Deshalb hoffe ich, dass ihr Verständnis dafür habt, dass die jeweiligen Beiträge zeitlich an dem Tag geschrieben sind, an dem ich ihn beschreibe, dies aber nicht der Realität entspricht. Lest es einfach wie ein Buch. 😉

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Tag 1 – Der Tag vor dem ersten Treffen

Morgen ist es soweit. Morgen treffe ich sie.
Vor einiger Zeit habe ich durch eine Bekannte Kontakt zu einer Asylantin herstellen können.
Wie kommt man auf so eine Idee, fragen sich vielleicht einige von euch!? Nunja, ich war es Leid, ständig das Gebrabbel von Leuten um mich herum zu hören und auch das Gebrabbel der Medien ging mir ziemlich gegen den Strich. Man weiß nicht, wem man glauben soll und am Ende bildet man sich aber, aus diesen mehr oder weniger zuverlässigen Quellen, eine Meinung. Ich beschloss, mir ein eigenes, privates, persönliches Bild zu machen. Und da man immer jemanden kennt, der wieder jemanden kennt … naja ihr wisst schon. Meine Bekannte kennt einige Familien persönlich, die hier Asyl fanden und konnte mir weiterhelfen. So kam ich an den Kontakt.
Und morgen ist dann der große Tag.
Der eigentlich gar nicht so groß sein müsste. Sie ist ja nur ein Mensch wie du und ich. Und doch … so sehr mein Gewissen auch auf mich einredet und mich schilt, dass ich so denken sollte … ich habe Angst. Irgendwo versteckt zwischen Hoffnung, dem Glauben an das Gute im Menschen und meiner Toleranz, da liegt sie, klein und unauffällig – die Angst. Wovor, kann ich selbst nicht so richtig sagen. Vielleicht ist es nur das Gefühl, dass man immer hat, wenn sich etwas Neues im Leben anbahnt. Eine Mischung aus Euphorie und Angst. Oder vielleicht ist es auch die Angst, die sich durch die vielen Medienberichte und Geschichten der vielen Bekannten und Freunde ins Unterbewusstsein einbrannte. Eine Angst vor anderen Ansichten und Gewalt. Aber vielleicht ist es auch eine Angst vor mir selbst. Die Angst, nicht richtig zu reagieren, etwas falsch zu machen, ihr nicht helfen zu können.
Und am Ende ist es wahrscheinlich eine Angst, die sich ein bisschen aus all diesen und noch vielen anderen Ängsten zusammensetzt. Aus diesem Grund, weil ich fühle, wie ich fühle, komme ich mir schlecht vor. Trotzdem möchte ich mit euch darüber reden, denn wenn es mir schon so geht, die sich trotz all dieser Gefühle für ein Kennenlernen entschieden hat, aus welchen Gründen oder Antrieben oder selbstsüchtigen Hintergründen auch immer … wenn ich schon so fühle … wie fühlen Menschen, die noch mehr Angst und weniger Antrieb dafür haben? Ist es dann nicht ganz normal, dass alle so reagieren, wie sie reagieren? Weil sie Angst haben?
All diese Gedanken und noch viel mehr beschäftigen mich in diesem Moment. Einen Tag, bevor ich eine völlig fremde Person kennenlerne. Ich fühle mich etwas bescheuert, dass ich über solch große Fragen und Themen nachdenke, obwohl das morgen einfach nur ein nettes Treffen werden soll. Ein Treffen unter baldigen Freunden. Wenn ich jedes Mal vor Treffen mit meinen Freunden so denken würde … ich würde durchdrehen. Und ist es nicht irgendwie traurig, dass man solche Gedanken hat? Diese Frage überlasse ich euch.
Für mich steht fest. Ich möchte ihr helfen. Und ich möchte lernen.
Der erste Schritt in meine persönliche Erfahrung mit Integration, weil Integration nicht nur eine Sache der Asylanten selbst ist. Wir wissen über unser Land Bescheid. Also greifen wir ihnen einfach unter die Arme, um sie bei der allseits gewünschten Anpassung zu unterstützen! 🙂

Interessiert euch dieses Thema? Dann lasst mir doch ein „Gefällt mir“ oder ein paar Kommentare da.
Denn wenn es euch, meine Leser interessieren sollte, dann werde ich dafür eine eigene Kategorie schaffen.
Ansonsten bleibt es bei kleinen Beiträgen von Zeit zu Zeit.

EURE HACHIDORI

mehr zu diesem Thema:
Tag 2 – Das erste Treffen
Tag 3 – Der kleine Rückschlag
Tag 4 – Happy End und wirre Gedanken
Tag 5 & 6 – Jede Menge Kuchen/ Treffen unter alten Freunden

 

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